Die Jüdische Gemeinde in Hamburg feiert seit 2011 das Chanukka-Fest im Dezember Open Air zwischen Alster und Rathaus. Ein großer achtarmiger Chanukka-Leuchter wird dafür aufgebaut. An acht aufeinander folgenden Abenden wird je ein weiteres Licht entzündet und die Gemeinde kommt dafür zusammen. Passanten treten hinzu, anschließend steht man noch beieinander. Es war ein wichtiger Schritt, in die Öffentlichkeit zu gehen, findet Shlomo Bistritzky, Landesrabbiner der Freien und Hansestadt Hamburg.

Herr Landesrabbiner, brauchen wir mehr Offenheit für religiöse Vielfalt?

Shlomo Bistritzky: Im Grunde ist diese Offenheit vorhanden. Aber wir müssen auf sie aufpassen, denn sie ist ein hohes Gut. Wir leben hier in einer offenen Gesellschaft.  Ich habe meinen Glauben, andere Menschen haben einen anderen Glauben, das bedeutet nicht, dass ich mit ihnen in Konflikt gerate. Oder sie sind jüdischen Glaubens wie ich, praktizieren ihn aber anders als ich. Auch das ist kein Problem, für mich nicht und für sie nicht. Jeder hat seinen eigenen Glauben und Weg und lebt auf seine Weise. Wenn wir frei sind, unseren Glauben zu leben, können wir ganz gut zusammen leben mit allen Unterschieden in Hamburg. Wir benötigen dafür Respekt und Toleranz. Und hier finde ich die Reihenfolge wichtig: Ohne Respekt kann es keine Toleranz geben. Wir müssen uns zunächst grundsätzlich gegenseitig respektieren. Erst dann können wir tolerieren, dass wir unterschiedlich sind. Dieser Respekt ist meist vorhanden. Aber es gibt auch Menschen, die anderen den Respekt versagen. Die beleidigen, verächtlich machen oder sogar angreifen. Das ist etwas, das leider manche von uns aber auch von anderen Religionen erleben.

Gibt es Diversität auch innerhalb Ihrer Gemeinde?

Shlomo Bistritzky: Ja, es gibt in unserer Gemeinde, bei allem, was uns vereint, auch Unterschiede. Wir sind zum Beispiel unterschiedlich gläubig, auch weil wir unterschiedlich erzogen wurden. Wenn man das akzeptiert, können wir in der Gemeinde gut zusammenleben. Im jüdischen Leben sind wir mit dieser Unterschiedlichkeit auch innerhalb unserer Gemeinden vertraut, egal ob in Hamburg oder in Tel Aviv oder New York oder London. Dabei spielt auch die Geschichte unseres Volkes eine wichtige Rolle. Wir Juden leben in der ganzen Welt verstreut und sind immer auch beeinflusst von dem Ort, wo wir gelebt haben oder leben. In der Hamburger Jüdischen Gemeinde kommen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Gewohnheiten, und Traditionen zusammen. Wir sind damit vertraut, dass es diese Verschiedenheit gibt. Es hilft, kurz innezuhalten und zu fragen: Muss ich jetzt meine persönliche Tradition durchsetzen oder respektiere ich, dass es auch andere gibt? Die Gemeinde in Hamburg hat einerseits ihre ganz eigene Tradition. Dann sagen einige ‚So haben wir es in Hamburg immer gemacht.‘ Aber durch den Zweiten Weltkrieg ist sehr viel davon verloren gegangen. Und in den letzten Jahren sind andere Traditionen hinzugekommen. So gibt es heute eine große Vielfalt auch in unserer Gemeinde.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass die religiöse Vielfalt sichtbar ist?

Shlomo Bistritzky: Ich glaube, dass dies sehr wichtig ist. Aber es war für mich gar nicht leicht, meine Gemeinde davon zu überzeugen. Als ich vor 17 Jahren nach Hamburg kam, da gab es so eine Haltung und Stimmung der Gemeinde, die sehr zurückhaltend war. Sie wollten die Veranstaltungen nur in den eigenen Räumen, nicht in der Öffentlichkeit. Das war nicht nur aus Angst vor Übergriffen, sondern auch aus Unsicherheit: Wie werden die Hamburgerinnen und Hamburger reagieren, wenn wir in der Öffentlichkeit eine Veranstaltung durchführen?

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky mit der Zweiten Bürgermeisterin, Katharina Fegebank, am Jungfernstieg.

Natürlich nehmen wir das Thema Sicherheit ernst. Aber ich brachte doch eine ganz andere Vorstellung mit. Ich habe zwei Argumente, warum es für uns wichtig ist, als jüdische Gemeinde in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein: Erstens gibt es viele Juden in dieser Stadt, die ihren jüdischen Glauben nicht praktizieren und bisher keinen Kontakt zu unserer Gemeinde haben. Für sie kann es wichtig sein, zu sehen, wir gehen in die Öffentlichkeit, wir sind bekannt in der Stadt, wir haben Gäste aus der Politik und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens bei unseren Veranstaltungen. Möglicherweise, wenn sie uns in dieser Weise als offene Gemeinde erleben, können sie sich eher vorstellen sich uns anzuschließen und selbst aktiv zu werden in der Gemeinde. Zweitens können so die Hamburgerinnen und Hamburger etwas von unserem Gemeindeleben miterleben. Ich glaube, es ist wichtig, dass dies nicht ausschließlich in der Synagoge sondern auch im öffentlichen Raum stattfindet.

Seit einigen Jahren feiert Ihre Gemeinde im Dezember zwischen Rathaus und Alster das Chanukka-Fest! Welche Bedeutung hat für Sie diese Veranstaltung?

Shlomo Bistritzky: Ja, letztlich konnte ich meine Gemeinde überzeugen, diesen Schritt zu tun. Das ist ein wichtiges Zeichen, glaube ich. Menschen können zu unserer Feier dazukommen, sich einfach zu uns stellen. Sei es aus Neugier oder weil sie eine persönliche Verbindung zum Judentum haben. Wir sind da, auch wenn sie ein Gespräch suchen. Insgesamt sind die Reaktionen sehr positiv. Uns ist aber auch klar, dass es Menschen gibt, die uns feindlich gesonnen sind. Wenn sie sehen, dass der Bürgermeister zu unserem Chanukka kommt, dann fühlen sie sich darin womöglich sogar noch bestärkt. Das ist leider so. Aber dennoch halten wir an dieser öffentlichen Veranstaltung fest. Wir sind da und wir sind offen für die Menschen und ihre Fragen.

Fotos: Armin Stoiakovski

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