Für das Rauhe Haus wurden Teamcoachings und Fortbildungen durchgeführt, um Fach- und Führungskräfte mit den Grundlagen der glaubens- und kultursensiblen Pädagogik vertraut zu machen. Das Ziel: Den eigenen Standpunkt reflektieren und „sprechfähig“ werden, wenn es in der beruflichen Praxis um Sinnfragen und Glaubensvorstellungen geht. Jürgen Spincke hat die Coachings und Fortbildungen konzipiert. Der Theologe und Coach vom IBAF-Qualifizierungszentrum für Führung und Managment ist spezialisiert auf die Fortbildung von Fachkräften und Führungskräften der Sozialen Arbeit und von Pädagoginnen und Pädagogen.

Herr Spincke, worauf kommt es bei Fortbildungen in Glaubens- und Kultursensibilität an?

Wir leben in einer sehr säkularisierten Welt, in der viele Abstand haben zu Glaubensdingen und religiösen Themen. Und gerade unter Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ist das der Mainstream. Davon gehen wir bei unseren Fortbildungen aus. Entscheidend ist, dass wir dann an Themen arbeiten, die für diese Zielgruppe wirklich spannend sind. Wir gehen von Praxisfragen aus, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mitbringen, von realen Fallgeschichten und Herausforderungen im beruflichen Alltag. Wie gehe ich sensibel mit Menschen um, die vielleicht gerade einen Schicksalsschlag erleiden mussten? Oder wo ein Angehöriger sehr krank geworden ist? Dabei geht es einerseits um die Professionalisierung der Sozialarbeit und zugleich geht es um so etwas wie Selbstentwicklung. Denn um sensibel mit diesen Fragen umzugehen, muss ich sie an mich heranlassen und begegne dabei meinen individuellen Werten und Glaubensvorstellungen. Es geht um meine Professionalität und zugleich ist es sehr persönlich. Wenn wir darüber gemeinsam reflektieren wollen, kommt alles auf das Wie an! Eine solche Fortbildung muss absolute Freiheit geben. Ich darf Religion blöd finden und sagen Gott gibt es für mich nicht. Ein anderer darf sagen, Gott ist für mich das Wichtigste im Leben. Und beides darf nebeneinander sein. Dann finden Menschen das interessant und begegnen einander. Wenn Leute merken, sie können denken, was sie denken, sie können glauben, was sie glauben, entsteht eine vertrauensvolle Atmosphäre.

Wie wichtig ist dabei die Haltung der Einrichtungsleitung und der Vorgesetzten zu existenziellen Fragen und Glaubens- und Kultursensibilität?

Die Leitung sollte die Fortbildung auch emotional unterstützen. Wenn das gegeben ist, ist es relativ einfach. Ist das nicht gegeben, sind da Ambivalenzen oder haben Mitarbeitende das Gefühl, sie müssen irgendetwas glauben, was sie nicht glauben können oder wollen, dann haben sie kein Vertrauen.

Wenn die Leitung respektvoll mit der Vielfalt an Weltanschauungen und Religionen umgeht, entsteht eine Grundlage, wo man wunderbar alle existenziellen, spirituellen Themen gemeinsam bewegen kann. Für welche Werte steht man ein, welche Verhaltensweisen begrüßt man, und welche muss man aber auch begrenzen oder auch dazwischengehen, zum Beispiel weil sie eine Abwertung gegenüber anderen beinhalten?

Es darf dabei kein noch so kleiner Druck sein, dass ich andere zwinge etwas zu glauben, was sie aber gar nicht glauben können und wollen! Dieser Zwang ist manchmal immer noch latent vorhanden, gerade im kirchlichen Kontext. Die Frage ist ja: Wem möchte ich mich anvertrauen? Mit wem kann ich auch ein Wir erleben? Ein Wir kann ich nur erleben, wenn ich jemandem vertrauen kann und respektvoll behandelt werde.

Wie kann so eine Fortbildung gestaltet werden?

Jürgen Spincke, Theologe, Coach und Trainer.

Wir laden ein zu einem Dialog auf Augenhöhe über interessante Themen, wo bei den Teilnehmenden Energie da ist. Wo jeder sich frei entfalten kann und man voneinander lernt. Schon bei der Ankündigung der Fortbildung sollte klar sein, dass alle Einstellungen okay sind und auch Platz finden in der Fortbildung. Es geht in erster Linie nicht darum, was jeder Einzelne glaubt, sondern darum zu reflektieren, um dann in der beruflichen Praxis glaubens- und kultursensibler arbeiten zu können.

Also einerseits geht es um die Weiterentwicklung der eigenen Fachlichkeit und zugleich geht es um eine gewisse Selbstentwicklung. Dass ich weiß, was ich glaube oder nicht glaube und auch weiß, wo muss ich jemandem Grenzen setzen, weil er oder sie verletzend agiert, z. B. fundamentalistisch. Dann ist es wichtig, Werte entgegenzusetzen und Grenzen zu setzen, sei es im muslimischen oder auch im christlichen Kontext.

Was kann diese Fortbildung bewirken?

Die Distanz zur Religion ist allgemein ja enorm groß. Wenn wir aber, wie beschrieben, offen damit umgehen, kann man gemeinsam existenzielle Themen und Sinn-Fragen bewegen. Dann äußern sich die Teilnehmenden hinterher sehr positiv, da sie sich in diesem Kontext professionalisieren durften.

Die Fortbildung hilft, unvoreingenommen in die Begegnung mit anderen Menschen zu gehen, sprechfähig zu sein, auch über existenzielle Themen. Existenzielle Themen begegnen jedem von uns privat, aber fordern uns in sozialen Berufen eben auch heraus, sie als Profis zu bearbeiten. Wenn ich mich dem stelle, werden die Themen oft leichter. Anstrengend ist oft vor allem der innere Widerstand dagegen. Indem ich mich damit beschäftige, spüre ich möglicherweise, dass die Beschäftigung mit existentiellen Fragen das Leben und die Arbeit zugleich leichter und intensiver macht.