In Stadtteilzentren und Nachbarschaftstreffs kommen Menschen aus verschiedenen Lebenswelten zusammen. Ihre Wünsche und Erwartungen an die Nutzung der Räume unterscheiden sich. Nicht immer reicht das direkte Gespräch unter Nutzerinnen und Nutzern, um sich daraus ergebende Fragen zu klären. Es braucht Strukturen, die das Miteinander regeln, Teilhabe fördern und Diskriminierung unterbinden. Und es braucht Menschen, die auf diese Strukturen achten. In einem Nachbarschaftstreff in Billstedt wurde die Hausordnung vor dem Hintergrund eines Konflikts intensiv reflektiert und eine professionelle Trägerschaft eingeführt. So gelang ein Neuanfang.

Das Nachbarschaftshaus im Jenkelweg ist ein besonderes Angebot der SAGA für ihre Mieterinnen und Mieter. Es besteht aus einem Veranstaltungsraum mit integrierter Küche und einem Büro sowie einem Außengelände. Die Jugendfreizeitfläche kann ohne Vereinszugehörigkeit genutzt werden. Wie in vielen anderen Quartieren Hamburgs wurde auch dieser Treff im Rahmen der Integrierten Stadtteilentwicklung (RISE) vom Bezirksamt zusammen mit der Eigentümerin entwickelt und öffentlich gefördert. 2010 eröffnet, wurde es bald zu einem Vorzeigeprojekt, denn die Nachbarinnen und Nachbarn organisierten dort vielfältige Angebote für Kinder, Familien, Frauen und Ältere. Viele Billstedterinnen und Billstedter nutzten das Haus und viele KStadtinder und Jugendliche die Freizeitfläche. Sommerfeste wurden gemeinsam gefeiert.

Gruppen geraten miteinander in Konflikt

Dann entwickelten sich jedoch Spannungen zwischen einer Frauengruppe, der vorwiegend muslimische Frauen angehörten und einer weiteren Gruppe eher nicht religiös orientierter Seniorinnen und Senioren. Beide Gruppen engagierten sich stark im Haus und waren ehrenamtlich für die Nachbarn aktiv. Letztere warfen den Frauen vor, das Haus vor allem für gemeinsame religiöse Praxis zu nutzen. Die Frauengruppe fühlte sich zunehmend unsicher. Was war denn nun erlaubt und was nicht, waren sie überhaupt noch willkommen? Auch die Senioren fühlten sich unwohl im Haus. Die gemeinsamen Aktivitäten zwischen beiden Gruppen kamen zum Erliegen.
Als einfachste und schnellste Lösung erschien es den Verantwortlichen, in die Hausordnung eine Formulierung einzufügen, die „politische, religiöse und kommerzielle Veranstaltungen“ im Nachbarschaftshaus untersagte. Das erwies sich jedoch als kontraproduktiv. Was ist eine „religiöse Veranstaltung“? Die älteren, nicht-religiösen Ehrenamtlichen legten dies sehr strikt aus und sagten demonstrativ sogar die allgemein beliebte gemeinsame Weihnachtsfeier ab. Die Stimmung im Nachbarschaftshaus war auf einem Tiefpunkt angelangt.

Analyse und Lösungsvorschlag

Das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation (ikm) wurde zur Mediation zwischen den Gruppen hinzugezogen. Der damalige Jugendhilfeträger tendierte dazu, das Thema Religionsausübung so weit wie möglich auszuklammern, in der Hoffnung, Konflikte zu vermeiden. Ikm-Leiterin Katty Nöllenburg sah darin eine Eskalationsursache des Konflikts und schlug vor, die Strukturen und Zielsetzungen für das Nachbarschaftshaus zu überprüfen.
Als externer Experte konnte Dr. Ali-Özgür Özdil vom Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstitut e. V. (iwb) die in Bezug auf die Glaubenspraxis aufgetretenen Fragen klären. Vielen Musliminnen und Muslimen ist es wichtig, täglich die festgelegten Gebetszeiten einzuhalten. Es bedeutet jedoch nicht, dass ihnen separate Räumlichkeiten für ihr Gebet zur Verfügung gestellt werden müssen. Wichtig ist, für sich daraus ergebende Fragen offen zu sein und gemeinsam Lösungen zu finden. Auch sollte das Thema nicht als Stellvertreter für gesamtgesellschaftliche Konflikte behandelt werden. Dabei helfen vor allem eine gute Portion Pragmatismus und Gelassenheit.

Glaubens- und kultursensible Regeln finden

Die Prinzipien für die Nutzung des Nachbarschaftshauses wurden mit Unterstützung des ikm zwischen der SAGA und dem Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung des Bezirks neu formuliert: Das Nachbarschaftshaus als stadtteilbezogener, nicht-kommerzieller Veranstaltungsraum soll das nachbarschaftliche Leben fördern. Konfessionelle Angebote haben hier keinen Platz, wohl aber überkonfessionelle, wie eine interkulturelle Frauengruppe. Individuelle religiöse Handlungen, sei es ein muslimisches Gebet oder ein Vaterunser, sind geschützt durch die Religionsfreiheit im Grundgesetz. Das Nachbarschaftshaus ist aber kein Ort, wo man sich explizit zum Gebet trifft.
Auf dieser Basis beschreibt die neue Hausordnung die Möglichkeiten und Grenzen für Aktivitäten im Haus: „Das Nachbarschaftshaus heißt Menschen aller Weltanschauungen und Glaubensrichtungen des Quartiers willkommen, die den Dialog der Kulturen fördern. Alle Angebote müssen von allen Personen unabhängig von deren Religion oder Weltanschauung wahrgenommen werden können. Im Nachbarschaftshaus dürfen keine parteipolitischen Veranstaltungen oder Nutzungen zugelassen werden. Angebote, die auf ein interkulturelles Miteinander aller Quartiersbewohner ausgerichtet sind, können religiöse und weltanschauliche, wie auch stadtteilpolitische Inhalte beinhalten.“ Auch wurde die Trägervereinbarung überarbeitet und konkretisiert.

Neustart mit neuer Hausordnung und professionellem Träger

Die neue Hausordnung ist seit Mitte 2018 in Kraft. Parallel zur Arbeit an der Hausordnung hat das Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung zusammen mit der SAGA das Projekt „Lebendiges Nachbarschaftshaus“ vorbereitet, aus dem für zunächst drei Jahre eine professionelle Trägerschaft finanziert wird. Ein junges und diverses Team leitet das Haus, hat neue Angebote entwickelt und glaubens- und kultursensibel überprüft. Die Hausordnung dient den Entscheidungsträgern als Orientierung im Hintergrund, auch bei der Arbeit mit Ehrenamtlichen. Es haben sich neue Gruppen gebildet und auch ein gemeinsames Sommerfest wurde 2019 wieder gefeiert. Der neue Träger arbeitet glaubens- und kultursensibel. Durch klare Rahmenbedingungen, einen echten Neustart und ein zeitgemäßes Konzept ist das Nachbarschaftshaus nun wieder ein Ort für ein konstruktives Miteinander, wo mögliche neue Konflikte frühzeitig bearbeitet werden.

Foto: Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung