Kommunikative Fähigkeiten lassen sich weiterentwickeln. Katty Nöllenburg ist Ethnologin, Sozialpädagogin, und Ausbilderin für Mediation, und sie leitet das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation (ikm), das u. a. interkulturelle Trainings durchführt. Fachkräfte lernen Situationen so zu gestalten, dass sie selbst und auch ihre Gesprächspartner gelassen mit Unterschieden umgehen können. Wir wollten von ihr wissen, worauf es dabei ankommt.
Gibt es Fragen, die Sie und Ihr Team in Fortbildungen besonders häufig hören?
Katty Nöllenburg: Da geht es zum Beispiel um die Frage, wie man damit umgeht, wenn eine muslimische Jugendliche einem männlichen Erzieher zur Begrüßung nicht die Hand geben möchte. Dieser fühlt sich abgewiesen, vielleicht sogar gekränkt. Und es wird als nicht gleichberechtigtes Verhalten zwischen den Geschlechtern interpretiert. Ähnlich oder vielleicht noch stärker wird dies erlebt, wenn männliche Jugendliche weiblichen Pädagoginnen den Handschlag verweigern. Nun kann es natürlich auch vorkommen, dass ein Jugendlicher dies tatsächlich als Provokation oder Abwertung meint. Das kann ich nicht ausschließen. Aber wir wissen einfach von ganz vielen Muslimen, dass es ihre individuelle Form der angemessenen und respektvollen Begrüßung ist, so wie sie sozialisiert wurden, oder es selbst gewählt haben.
Wie wird so eine Frage in einer Fortbildung bearbeitet?
Katty Nöllenburg: Glaubens- und kultursensible Kommunikation hilft, den Gesprächspartner besser zu verstehen. Sie ist ein wichtiges Element eines kompetenten Umgangs mit Vielfalt, mit Diversität. Zunächst einmal betrachte ich typische Situationen genauer und erkenne, dass ein von mir als irritierend empfundenes Verhalten durchaus nicht als Beleidigung oder Missachtung gemeint sein muss. Es kann möglicherweise für den Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin die aus seiner oder ihrer Sicht einzig angemessene Art sein, einen Menschen zu begrüßen. Dafür muss ich erst einmal grundsätzlich bereit sein, auch andere Perspektiven zuzulassen. Der erste Schritt ist wirklich, das eigene Wissen zu vertiefen, um Missverständnisse zu vermeiden. Dabei dürfen wir nicht schematisch vorgehen. So sagt auch eine sichtbare muslimische Religionszugehörigkeit nichts darüber aus, ob mir die Person die Hand geben möchte oder nicht.
Geht es vor allem um Wissensvermittlung?
Katty Nöllenburg: Nein, das ist tatsächlich nur der Beginn. Es folgt eine eingehende Selbstreflexion. Wir schauen auf unsere eigenen Reaktionen: Warum finde ich ein Verhalten verletzend? Wie kommt das eigentlich? Ist das meine Sozialisation? Welche Traditionen prägen mich? Wenn ich weiß, warum ich bestimmte Situationen auf eine bestimmte Weise erlebe, kann ich lernen damit umzugehen. Um beim Beispiel der Begrüßung zu bleiben: Ich kann so auf Menschen zugehen, dass weder ich noch mein Gesprächspartner sich dabei unwohl fühlen. Ich kann in meiner Rolle als pädagogische Fachkraft bewusst mein Gegenüber entscheiden lassen, welches die angemessene Form der Begrüßung ist. Ich kann das auf eine sehr souveräne Weise tun. Man kann einen Menschen ausgesprochen herzlich begrüßen,
ohne ihn zu berühren. So lassen sich die eigenen kommunikativen Kompetenzen nach und nach stärken, das ist keine Zauberei! Im Gegenteil, sehr hilfreich ist bei all dem eine Grundhaltung der Gelassenheit, eine unaufgeregte Art auch mit neuartigen Situationen umzugehen. Ich muss mir in der Rolle als Pädagogin oder Pädagoge bewusst machen, was mein Ziel ist. Wenn ich will, dass sich mein Gegenüber wohlfühlt in der Einrichtung, dann kann ich mit glaubens- und kultursensibler Kommunikation sehr viel dazu beitragen.
Foto: Privat
Was sind „Diversitäts-Kompetenzen“ überhaupt? Was haben sie mit Glaubens- und Kultursensibilität zu tun und was bringen sie mir?
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